Die Essenzen des Glaubens in Judentum und Islam: Teil 1 – Die 13 Glaubensartikel des Maimonides

Judentum als auch Islam sind sehr komplexe Religionen, sie umfassen nahezu alle Lebensbereiche und bieten zahlreiche Lehrtraditionen und Denkschulen. Neben den primären und sekundären Quellen, können zeitgenössische Juden und Muslime auch auf einen schier unerschöpflichen Fundus an Literatur aus vielen Jahrhunderten religiöser Gelehrsamkeit zurückgreifen.

Aber was sind die Essenzen, die wirklich zentralen Glaubenssätze dieser beiden Religionen? Wie können wir uns gegenseitig kurz und bündig begreiflich machen, auf welchen Fundamenten sich unsere komplexen Religionen jeweils befinden, was sie im Kern ausmacht?

Dieser Frage widmet sich der Autor seit längerer Zeit und möchte mit dieser Beitragsreihe einen Versuch wagen sie zu beantworten.

Beginnen wir mit dem Judentum.

Die 13 Glaubensartikel des Maimonides

Der jüdische Schriftsteller Leo Hirsch (gest. 1943) schrieb 1935 folgendes:

»Es ist nicht Pflicht, aber ein guter Brauch, daß jeder Jude an jedem Tage die dreizehn Glaubensartikel, in die der große Maimonides (1135-1204) den Extrakt des jüdischen Glaubens faßte, und die biblischen Zehn Gebote lese.

Quelle: Hirsch, Leo: Jüdische Glaubenswelt. – Gütersloh : Bertelsmann, 1966. – S. 28.

Wer sich etwas genauer mit dem Judentum befasst, wird früher oder später auf den Namen Moses Maimonides stoßen. Seine Zeitgenossen kannten ihn vor allem unter seinem arabischen Namen Abū ‘Imrān Mūsā ibn ‘Ubaidallāh Maimūn al-Qurtubī und unter Juden war und ist er bekannt als Rabbi Mosche ben Maimon (und dem daraus resultierenden Akronym RaMbaM).

Der Rang dieses jüdischen Gelehrten unter den Juden ist außergewöhnlich. Er lebte in der Zeit zwischen 1135 und 1204 n. Chr., zuerst im muslimischen Cordoba (Al-Andalus/Spanien), wo er auch geboren wurde, später dann in Fustat/Kairo (Ägypten). Die Verehrung, die diesem Gelehrten entgegengebracht wird, drückt sich auch in einer kursierenden Redensart aus:

Von Moses (dem Propheten) bis Moses (Maimonides ) gab es keinen wie Moses!

Sein gesamtes Leben verbrachte Maimonides unter muslimischer Herrschaft und zu Zeiten seines Aufenthaltes in Fustat/Kairo brachte er es sogar zum Berater und Leibarzt des Sultans von Ägypten, Salahudin ibn Ayyub, dem Bezwinger der Kreuzfahrer.

Die meisten seiner religiösen Werke verfasste er in arabischer Sprache, einige wenige aber auch auf hebräisch. Von diesem Gelehrten stammen die sogenannten “13 Glaubensgrundsätze” die Leo Hirsch seinem Werk erwähnt.

Sicherlich haben sich bereits frühere jüdische Gelehrte dieses Themas angenommen und zentrale Glaubenssätze des Judentums aus ihren Schriften extrahiert, allerdings eignen sich die 13 Glaubensartikel Maimonides’ wohl am ehesten für unsere Zwecke, da sie in einem Lebensumfeld entstanden, in dem sich das Judentum vor allem mit Muslimen und Christen umgeben sah, sich also auch mit diesen Religionen auseinandersetzte, während weit frühere Gelehrte oft in klassisch-polytheistisch geprägten Herrschaftsgebieten (wie unter Persern, Griechen und Römern) lebten.

Leo Hirsch schreibt weiter:

Die Glaubensartikel lauten:

1. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß der Schöpfer, gepriesen sei sein Name, jegliche Kreatur schafft und lenkt und daß er allein der Urheber alles dessen ist, was geschah, geschieht und geschehen wird.

2. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß der Schöpfer, gepriesen sei sein Name, einzig ist und daß es keine Einheit seinesgleichen gibt, in keinerlei Hinsicht, und daß er allein unser Gott war, ist und sein wird.

3. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß der Schöpfer, gepriesen sei sein Name, unkörperlich ist und frei von jeder Möglichkeit, materiell vorgestellt zu werden; und daß ihm auch keine Gestalt beigelegt werden kann.

4. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß der Schöpfer, gepriesen sei sein Name, Anfang und Ende ist.

5. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß der Schöpfer, gepriesen sei sein Name, allein es ist, dem Anbetung gebührt, und daß es ungebührlich ist, außer ihm ein Wesen anzubeten.

6. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß die Worte der Propheten alle wahrhaftig sind.

7. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß die Kündung unseres Lehrers Moses, Friede ihm, die Wahrheit und daß er von allen Propheten, früheren wie späteren, der Vater war.

8. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß diese Thora, wie wir sie jetzt besitzen, die gleiche ist, die unserem Lehrer Moses übergeben wurde.

9. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß diese Thora unverwechselbar ist und daß es nie eine andere Lehre vom Schöpfer her, gepriesen sei sein Name, geben wird.

10. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß der Schöpfer, gepriesen sei sein Name, alles Tun und jegliches Trachten der Menschen kennt, wie es heißt: Er, der ihre Herzen ganz und gar gebildet, Er weiß auch all ihr Tun.

11. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß der Schöpfer, gepriesen sei sein Name, wohl vergilt all denen, die seine Gebote erfüllen, und übel tut denen, die seine Gebote brechen.

12. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß der Messias kommt, und ungeachtet seines langen Ausbleibens erwarte ich täglich seine Ankunft.

13. Ich glaube mit voller Überzeugung, daß einst zu seiner Zeit, wenn es dem Schöpfer, gepriesen sei sein Name und erhoben sein Gedenken immer und ewig, wohl gefällt, die Toten auferstehen werden.«

Quelle: Hirsch, Leo: Jüdische Glaubenswelt. – Gütersloh : Bertelsmann, 1966. – S. 28ff.

Kommentare zu diesem Gegenstand sind ausdrücklich erwünscht. Was fällt Muslimen auf, wenn sie diese jüdischen Glaubenssätze lesen? Was haben Juden zu ergänzen?  Fühlt euch frei.

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2 Antworten auf „Die Essenzen des Glaubens in Judentum und Islam: Teil 1 – Die 13 Glaubensartikel des Maimonides“

  1. Schöner Artikel! Alle Achtung für Ihre Offenheit und Toleranz. Kleine Anmerkungen: Der Rambam entnahm seine 13 Glaubensgrundsätze aus dem Talmud (Erklärung des Rambams zur Mischna Traktat Sanhedrin) und es ging ihm nicht darum, das Judentum vom Christentum oder dem Islam zu unterscheiden.

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