In Talmud und Sunnah: Die Barmherzigkeit Gottes überwindet Seinen Zorn

Im Tanach (der jüdischen Bibel) findet man unter den Nevi’im (dt.: Propheten) das Buch des Jeschajahu (auch Isaiah oder Jesaja). In Kapitel 56 beginnt der 7. Vers mit den folgenden Worten:

»Ich bringe sie nach meinem heiligen Berge und erfreue sie in meinem Bethause, …«

Quelle: https://www.sefaria.org/Isaiah.56.7?ven=Die_Heilige_Schrift,_trans._Dr._Simon_Bernfeld,_Berlin,_1902_-_German_[de]&lang=bi&with=all&lang2=en

Im Talmud wird auf diesen Ausschnitt eingegangen, denn Rabbiner Jochanan bar Nappacha (gest. 279) fragt hier im Namen seines Schülers Jose bar Hanina (Traktat Berchochoth 7a/1):

»From where is it derived that the Holy One, Blessed be He, prays? As it is stated: “I will bring them to My holy mountain, and make them joyful in the house of My prayer” (It) does not say their prayer, but rather, “My prayer”; from here (we see) that the Holy One, Blessed be He, prays.«

Quelle: https://www.sefaria.org/Berakhot.7a.1?lang=bi&with=all&lang2=en

[Übersetzung: »Woher wird abgeleitet, dass der Heilige Eine, gesegnet sei er, betet? So steht es geschrieben: “Ich will sie zu Meinem heiligen Berg bringen und sie im Haus Meines Gebets erfreuen” (Es) wird nicht gesagt “ihr Gebet”, sondern “Mein Gebet”; daraus (sehen wir), dass der Heilige Eine, gesegnet sei Er, betet.»]

Auf diese Frage erhält der Rabbiner im folgenden Abschnitt des Traktats eine Antwort von Rav Zutra bar Tovi, und zwar in Form eines Bittgebetes, dass allem Anschein nach vom allmächtigen Gott an sich selbst gerichtet ist:

»(God says:) May it be My will that My mercy will overcome My anger and may My mercy prevail over My attributes and may I conduct toward My children with the attribute of mercy and may I enter before them beyond the letter of the law.«

Quelle: https://www.sefaria.org/Berakhot.7a.3?lang=bi&with=all&lang2=en

[Übersetzung: »(Gott sagt:) Möge es Mein Wille sein, dass Meine Barmherzigkeit meinen Zorn überwindet, und möge Meine Barmherzigkeit über Meine Eigenschaften siegen, und möge Ich gegenüber Meinen Kindern mit dem Attribut der Barmherzigkeit auftreten und über den Buchstaben des Gesetzes hinaus vor sie treten.«]

Für viele muslimische Leser mag das eine ungewöhnliche, ja geradezu häretisch klingende Vorstellung zu sein, dass der allmächtige Gott Bittgebete an sich selbst richtet, aber sicherlich ist es eine detaillierte theologische Abhandlung wert.

Weniger ungewöhnlich hingegen mag der Beginn dieses Gebetes für muslimische Ohren klingen, denn er erinnert sehr an den Wortlaut einer prophetischen Überlieferung (arab.: Hadith). Und so finden wir in der legendären Sammlung des großen Hadithgelehrten al-Buchārī (gest. 870) im Kapitel 53 (Beginn der Schöpfung) den Hadith Nr. 3194:

»Allah’s Messenger (ﷺ) said, “When Allah completed the creation, He wrote in His Book which is with Him on His Throne, “My Mercy overpowers My Anger.”«

Quelle: https://sunnah.com/bukhari/59/5

Übersetzung: »Der Gesandte Gottes (Gott segne ihn und schenke ihm Heil) sagte: “Als Allah die Schöpfung vollendet hatte, schrieb Er in Seinem Buch, das sich bei Ihm auf Seinem Thron befindet: “Meine Barmherzigkeit überwindet meinen Zorn”.«

Bei aller möglichen Differenz, ob der allmächtige Gott es nun als Bittgebet an sich selbst richtete oder nach Vollendung der Schöpfung in Seinem Buch auf seinem Thron vermerkte:

Die Barmherzigkeit Gottes überwindet Seinen Zorn.

Eine frohe Botschaft an die Verzweifelten und Hoffnungslosen, eine Motivation Gott zu suchen, sich Ihm zu nähern, Ihn um diese Barmherzigkeit zu bitten, Ihm dafür zu danken und Ihm darin nichts und niemanden in der Anbetung beizugesellen.

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